Verkürzung des Settlement-Zyklus auf “T+1”
Jeden Tag werden Wertpapiergeschäfte im Wert von mehr als 4 Bio. EUR bei EU-Zentralverwahrern abgewickelt. Nach sorgfältiger Prüfung der Empfehlungen des Berichts der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) in Zusammenarbeit mit dem Europäischen System der Zentralbanken (ESZB) sowie der Beiträge der Interessenträger schlägt die Europäische Kommission eine gezielte Änderung der Verordnung über Zentralverwahrer vor, den Abwicklungszyklus für Wertpapiergeschäfte (u.a. Aktien, Anleihen und ETFs) innerhalb der EU von zwei Geschäftstagen („T+2“) nach dem betreffenden Handel auf einen Geschäftstag („T+1“) zu verkürzen.
Durch globale Entwicklungen – insbesondere die Einführung von T+1 in den USA – wächst der Druck auf europäische Marktteilnehmer, nachzuziehen. Ziel ist es, Kontrahentenrisiken zu reduzieren, Kapital effizienter zu nutzen und internationale Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.
Die unterschiedlichen Ausführungsfristen stellen Marktteilnehmer in der EU beim Handel mit Wertpapieren auf ausländischen Märkten, die bereits T+1 eingeführt haben, vor Herausforderungen. Die kürzere Abwicklungszeit in diesen Ländern kann in Kombination mit der Zeitverschiebung dazu führen, dass Marktteilnehmern in der EU für die Abwicklung von Transaktionen deutlich weniger Zeit zur Verfügung steht. Die durch die unterschiedlichen Abwicklungszeiträume verursachten Ineffizienzen sind für sie zudem mit zusätzlichen Kosten verbunden.
Wo wurde T+1 bereits eingeführt?
Nordamerika hat den Wechsel bereits vollzogen: In den USA, Kanada und Mexiko gilt seit Mai 2024 T+1 für Aktien, Anleihen und Fonds. Auch Indien hat den Zyklus in einem gestaffelten Verfahren zwischen 2022 und 2023 auf T+1 umgestellt. Diese Märkte repräsentieren rund 60 % der globalen Marktkapitalisierung. Weitere Länder wie Großbritannien und die Schweiz bereiten eine Umstellung bis spätestens Oktober 2027 vor – idealerweise im Gleichschritt mit der EU.
Warum schlägt die Kommission den 11. Oktober 2027 als Datum für die Umstellung auf T+1 vor?
Nach Einschätzung der ESMA benötigt die Finanzbranche mindestens 31 Monate, um sich auf die Umstellung vorzubereiten und die erforderlichen Investitionen und Anpassungen an ihren Prozessen vorzunehmen. Hierbei wurden frühere Erfahrungen berücksichtigt, die im Rahmen der Umstellung auf T+2 bzw. auf internationaler Ebene auf T+1 gemacht wurden. Somit etwa ein Jahr, um Lösungen zu entwickeln und miteinander abzustimmen. Ein weiteres Jahr für die Umsetzung und ein Jahr für Tests, um eine erfolgreiche Einführung der T+1-Abwicklung auf den EU-Kapitalmärkten zu gewährleisten.
Welche Vorbereitungen sind seitens der Finanzbranche erforderlich?
Die Erfahrungen in anderen Ländern haben gezeigt, dass eine enge Zusammenarbeit zwischen den Behörden und der Finanzbranche für eine reibungslose Umstellung auf T+1 von größter Bedeutung ist. Daher haben die Europäische Kommission, die ESMA und die Europäische Zentralbank (EZB) im Januar 2025 eine Governance-Struktur geschaffen, in die die EU-Finanzbranche eingebunden ist, damit diese die technischen Vorbereitungen für die Umstellung auf T+1 begleiten und unterstützen kann.
Angesichts der starken Verflechtung der EU-Kapitalmärkte mit den Kapitalmärkten anderer europäischer Länder, insbesondere mit dem Vereinigten Königreich und der Schweiz, ist ein koordiniertes Vorgehen in ganz Europa wünschenswert, um weitere Inkohärenzen bei den Abwicklungszyklen sowie unnötige Kosten für die Marktteilnehmer zu vermeiden.
Um einen kürzeren Abwicklungszyklus in der gesamten EU zu gewährleisten, müssen die Nachhandelsprozesse weiter harmonisiert, standardisiert und modernisiert werden. Technisch erfordert T+1 in nahezu allen Institutionen eine Überprüfung und Anpassung der Systemarchitektur. Handelsplattformen, Abwicklungssoftware, Reportingtools, Schnittstellen zum Clearing sowie zum Zentralverwahrer (CSD) müssen neu ausgerichtet werden. Auch interne Abläufe wie das Cash-Management, die Wertpapierleihe, Corporate-Action-Prozesse und das Compliance-Reporting müssen angepasst werden. Für Banken bringt T+1 auch veränderte Anforderungen im Liquiditätsmanagement mit sich. Zahlungen müssen einen Tag früher bereitstehen, die Zeit zur Finanzierung über Repo oder FX-Geschäfte wird knapper. Dies kann zu einem vorgezogenen Bedarf an Intraday-Liquidität führen. Andererseits reduziert der verkürzte Zyklus die Zahl offener Positionen und somit die Höhe der Gegenparteirisiken sowie die Anforderungen an Sicherheiten (Margins).
Auswirkungen auf Marktteilnehmer und Systeme: Anforderungen, Chancen und Herausforderungen
Die Umstellung auf einen verkürzten Abwicklungszyklus von T+2 auf T+1 stellt eine der bedeutendsten operativen und infrastrukturellen Veränderungen im europäischen Wertpapierhandel der letzten Jahre dar. Für Marktteilnehmer wie Börsen, Banken, Zentralverwahrer und institutionelle Investoren bedeutet dies weitreichende technische, organisatorische und prozessuale Anpassungen – aber auch substanzielle Potenziale zur Effizienzsteigerung.
Handels- und Abwicklungsprozesse unter Zeitdruck
Für Banken und Broker bedeutet das eine erhebliche Verkürzung der operativen Vorlaufzeit – insbesondere für grenzüberschreitende oder komplexe Transaktionen.
Während heute viele Prozesse über Nacht oder am Folgetag abgeschlossen werden, müssen unter T+1 zahlreiche Schritte am gleichen Tag erfolgen. Das erhöht den Druck auf Straight-Through-Processing (STP) und zwingt zu höherer Automatisierung. Besonders betroffen sind die Trade-Confirmation-Prozesse institutioneller Kunden, die künftig idealerweise bis zum Abend des Handelstags abgeschlossen sein müssen.
IT-Systeme und Schnittstellen im Fokus
Technisch erfordert T+1 in nahezu allen Institutionen eine Überprüfung und Anpassung der Systemarchitektur. Handelsplattformen, Abwicklungssoftware, Reportingtools, Schnittstellen zum Clearing sowie zum Zentralverwahrer (CSD) müssen auf den neuen Zeitplan hin ausgerichtet werden. Auch interne Abläufe wie das Cash-Management, die Wertpapierleihe, Corporate-Action-Prozesse und das Compliance-Reporting müssen angepasst werden.
Insbesondere im internationalen Kontext (z. B. für Transaktionen mit US-Gegenparteien) wird die Synchronisation von Zeitfenstern und Fristen zur Herausforderung. Die nahtlose Integration mit globalen Settlement-Systemen (z. B. CLS für Devisenabwicklung) und der europäische Zugang zum pan-europäischen Abwicklungssystem T2S spielen hierbei eine zentrale Rolle.
Liquiditäts- und Risikomanagement neu ausrichten
Für Banken bringt T+1 auch veränderte Anforderungen im Liquiditätsmanagement mit sich. Zahlungen müssen einen Tag früher bereitstehen, die Zeit zur Finanzierung über Repo oder FX-Geschäfte wird knapper. Dies kann zu einem vorgezogenen Bedarf an Intraday-Liquidität führen. Andererseits reduziert der verkürzte Zyklus die Zahl offener Positionen und somit die Höhe der Gegenparteirisiken sowie die Anforderungen an Sicherheiten (Margins).
Für zentral geclearte Geschäfte bedeutet dies potenziell geringere Initial- und Variation Margins, was Kapital bindet und die Effizienz des Risikomanagements steigert. Auch das Exposure gegenüber Marktvolatilität zwischen Handelsabschluss und Abwicklung sinkt signifikant – ein Vorteil für alle Parteien entlang der Wertschöpfungskette.
Auswirkungen auf Kunden und Endinvestoren
Auch die Kommunikation mit institutionellen und privaten Kunden muss angepasst werden. Anleger erhalten Erlöse schneller, aber Kaufbeträge müssen auch früher zur Verfügung stehen. Depotbanken und Verwahrstellen müssen entsprechende Fristen, Valutierungen und Abwicklungsprozesse in der Kundenbetreuung überarbeiten. Ebenso sind Vertragsbedingungen mit Bezug auf Settlementzyklen (z. B. bei Fonds, Wertpapierleihe oder Derivaten) zu überprüfen und ggf. zu aktualisieren.
Fazit: Aufwand mit strategischem Potenzial
Die Umstellung auf T+1 erfordert erhebliche Investitionen in IT, Prozessdesign und Schulungen. Gleichzeitig bietet sie die Chance, bestehende Ineffizienzen zu beseitigen, das operative Risiko nachhaltig zu senken und europäische Kapitalmärkte global wettbewerbsfähiger zu machen. Für Institute, die frühzeitig mit der Umsetzung beginnen, ergeben sich nicht nur Compliance-Vorteile, sondern auch ein Modernisierungsschub für die eigene Post-Trade-Architektur.